Let it shine
Extremer Nationalismus und Balkan sind in der westlichen Wahrnehmung seit den Kriegen der 1990er Jahre untrennbar verbunden. Doch in der täglichen Realität ergibt sich ein sehr vielschichtiges Bild. So erleben wir in Belgrad patriotisch aufgeladene Regierungspropaganda auf Großplakaten, eine kleine isolierte Demonstration orthodoxer Fanatiker, aber auch eine Woche der kroatischen Küche in den Fischrestaurants an der Donau und antinationalistische Graffitis an Hauswänden.
Die Straßen und Brücken Belgrads leuchten abends immer noch hell vom Neujahrsschmuck, der in etwa dem Weihnachts-Lichterschmuck in deutschen Städten entspricht. Vielfach allerdings leuchtet der Neujahrsschmuck in Belgrad in den rot-blau-weißen Nationalfarben. Nun ist Neujahr ja schon zwei Monaten her. Da fragen wir uns schon, warum der ganze Plunder nicht mal langsam abgebaut wird.
Die Antwort ist … einfach. In Belgrad ist Wahlkampf, am 4. März wird ein neuer Bürgermeister gewählt. Die Regierungspartei des Staatspräsidenten Vučić ist haushoher Favorit, und ein Taxifahrer erklärt uns lachend: „Sie haben diesen Schmuck aufgehängt, und seit Wochen frage ich mich jeden Tag, wann sie ihn endlich abbauen. Vermutlich erst, wenn sie die Wahl gewonnen haben. Stellt euch vor, die verlieren am Ende – dann bleibt das hier ewig hängen!“
Wir besuchen in Zemun (Belgrad) die kleine orthodoxe Kirche des hl. Erzengels Gabriel. Dort erzählt uns der Priester, dass diese Kirche einstmals der Sammelpunkt für Reisende und Händler war, wenn sie aus dem Osmanischen Reich über die Save in das christliche Europa kamen. Hier wurden sie empfangen und auf Krankheiten untersucht, von hier aus ging die Reise weiter, und niemand kam auf die Idee, dass man diese Menschen aufhalten und abweisen sollte. „Es war ein Hotspot“, sagt der Priester, „Menschen kamen und gingen, alles war in Bewegung, das war normal. Wieso sprechen wir heute von einer Flüchtlingskrise, wenn Menschen in Bewegung sind?“
Foto: © Zorana Mušikić