Von Tunis nach … Darmstadt

Oder: Auch im Regen kann man was erleben

Wir reisen für das Fachkräfte-Programm nicht nur in die Städte des sogenannten Globalen Südens, die eine kommunale Partnerschaft mit Deutschland unterhalten. Wir reisen auch in die deutschen Partnerstädte. Zum Beispiel nach Darmstadt – und zwar gleich zu zwei Anlässen. Zum einen wollen wir den Oberbürgermeister gerne fragen, was seine Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger eigentlich davon haben, dass ein Experte für sie in der ukrainischen Partnergemeinde Ushgorod beschäftigt ist.

Wir haben den Termin so gewählt, dass wir in Darmstadt tatsächlich auf alle Experten und Expertinnen des Programms sowie auf Vertreter*innen aus den Partnerstädten Ushgorod, Lwiw, Charkiw und Tunis treffen. Es wird viel genetzwerkt, viel Erfahrung ausgetauscht und natürlich auch Frust geteilt. Und dann geht es gemeinsam auf eine Stadtführung durch Darmstadt.

An einem sehr kalten, grauen und regnerischen Tag. Das Licht ist furchtbar und es ist windig. Wenn es schon nur verhalten Spaß macht, den Stadtführer*innen hinterherzulaufen, wie muss es erst für den Kameramann sein, der ja von guten Bildern lebt – und jetzt in den Boden eingelassene Städteplaketten filmen muss, in denen das Wasser steht!

Ohne große Erwartung trotten wir hinterher, und zu unserer großen Überraschung erleben wir doch ein Highlight auf der Magdalenenhöhe, dem ehemaligen Künstlerviertel von Darmstadt. 1899, so erzählt der uns begleitende Historiker, hat der letzte Großherzog von Hessen Geld und Namen ausgespielt und eine ganze Reihe von Künstler*innen hier angesiedelt, sie Häuser bauen lassen, wie sie wollten, ihnen ein Atelier und eine Ausstellungshalle finanziert. Und das alles im beherrschenden Stil der Jahrhundertwende: dem Jugendstil.

Zum Ensemble gehört heute immer noch der Hochzeitsturm, den der Architekt Joseph Maria Olbrich für die Vermählung des Großherzogs mit seiner zweiten Frau entwarf (und den man im zugigen, kalten Mini-Shop im ungeheizten Eingangsbereich des Turms als Backform, Schlüsselanhänger, Salzfass und in Form aller nur erdenklicher Alltagesgegenstände erwerben kann). Hier steht auch die russisch-orthodoxe Kirche – wie so viele russisch-orthodoxe Kirchen ein sehr sehenswerter, in diesem Falle kleiner Bau –, die der letzte russische Zar Nikolaus II nach seiner Hochzeit mit der Herzogstochter Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt erbauen ließ. Wenn er sich schon von Zeit zu Zeit herablassen musste, die lange Reise von Moskau ausgerechnet nach Darmstadt anzutreten, dann wollte er immerhin in seiner eigenen Kirche beten. Sehr unterstützt hat ihn sein Gott, wie wir wissen, am Ende gegen die Bolschewiki nicht.